„Veritas odium parit“

■ Als Jesus Christus Seine Apostel in die Welt zum Missionieren ausgesandt hatte, sagte Er ihnen sofort voraus, dass sie dann auch mit Verfolgungen werden rechnen müssen: „Seht, Ich sende euch wie Schafe mitten unter Wölfe. … Nehmt euch in Acht vor den Menschen. Sie werden euch den Gerichten ausliefern und in ihren Synagogen euch geißeln. … Der Bruder wird den Bruder, der Vater den Sohn dem Tod überliefern, Kinder werden sich gegen die Eltern auflehnen und sie in den Tod bringen. Um meines Namens willen werdet ihr von allen gehasst werden. … Hat man den Hausherrn Beelzebub geschmäht, um wieviel mehr seine Hausgenossen.“ (Mt 10,16-25.)
Wenn wir solche Worte lesen, denken wir mehr oder weniger automatisch daran, dass diese und anderswo im Evangelium angekündigten Repressalien gegen die Jünger Jesu von Menschen ausgehen (werden), die das Christentum als Religion nicht angenommen oder auch wieder verloren haben, ob diese nun eigene Familienangehörigen seien oder Außenstehende. Sie seien ja die Ungläubigen und Abgefallenen, da sie den christlich-katholischen Glauben an den Göttlichen Erlöser Jesus Christus nicht annehmen und sich gegen das Licht des Evangeliums wehren.
Wenn wir uns aber z.B. mit dem Leben der Heiligen befassen, fällt uns auf, dass die Quellen der bisweilen sogar sehr großen Unannehmlichkeiten für die Jünger Christi und Verkünder der christlichen Offenbarungsreligion auch innerhalb der Kirche und der Gläubigen liegen bzw. die betreffenden Nachteile eben auch von den eigenen Glaubensbrüdern und -schwestern ausgehen können! Es ist zwar schwer, diese Realität zur Kenntnis zu nehmen, aber man kann sie nicht einfach ignorieren.
■ So ist uns z.B. aus dem Leben des hl. Kirchenvaters Johannes Chrysostomus (+407) bekannt, dass er als Patriarch von Konstantinopel den Unmut mancher seiner verweltlichten Priester auf sich zog, da er als ihr Bischof sie in ihrer diesseitigen Bequemlichkeit störte und zum Eifer beim Wirken im Weinberg des Herrn aufrüttelte.
Besonders fühlte sich Kaiserin Eudoxia in ihrem Stolz verletzt, weil der Heilige ihr und manchen Hofdamen ihrer Umgebung übertriebene Putzsucht und ungebührliches Verhalten in der Kirche vorwarf. Sie brachte es dann zuwege, dass er daraufhin auf einer Synode von einer Reihe ihr willfähriger Bischöfe abgesetzt und aus Konstantinopel ausgewiesen wurde. Später, nach der Rückkehr, zog er durch seine seelsorgliche Freimütigkeit aufs Neue den Hass der Kaiserin auf sich und verstarb schlussendlich in der Verbannung in einer Region am Schwarzen Meer.
Als zweites Beispiel könnte man hier auch den Fall des hl. Benedikt von Nursia anführen, des Patriarchen des Abendländischen Mönchtums. Als noch junger Mönch wurde er bei Subiaco von Mönchen eines Klosters gebeten, ihr Abt zu werden. Aber schon bald darauf wurden diesen Mönchen die straffe Regel und die Ordnung des hl. Benedikt verhasst und einer davon versuchte dann sogar, ihn mit vergiftetem Wein zu töten. Wieviel an schrecklichem „Unmut“ muss also der monastische Eifer des hl. Benedikt bei den betreffenden lauen Mönchen hervorgerufen haben!
Ein Bekannter, der in den 1960-er Jahren regelmäßig zu Padre Pio nach San Giovanni Rotondo in der italienischen Provinz Foggia zur Beichte fuhr, erzählte einmal, wie er anscheinend beobachten konnte, dass einige der Mönche in demselben Kloster P. Pio gegenüber von Neid erfüllt waren und ihm dies auch zeigten, weil er eben die Stigmata, die Wundmale des Herrn, hatte und viel frommes Volk anzog. Wenn diese Zeugenaussage der Wahrheit entspricht, dann müssen die betreffenden Kapuzinermönche unter starker Störung ihres geistlichen Lebens gelitten haben.
Es gibt einen lateinischen Spruch, der offenkundig ebenfalls auf dem Boden einer entsprechend langen menschlichen Erfahrung herangereift ist und die hier angesprochene Thematik bzw. Problematik ohne falsche Scheu oder Rücksicht zur Sprache bringt: „Veritas odium parit“ - „Die Wahrheit gebiert Hass“! Es will damit gesagt werden, dass die Wahrheit auch innerhalb der Kirche und somit unter uns, den „Frommen“, bei weitem nicht immer in entsprechend vollem Umfang angenommen werde, weswegen wir dann eventuell ebenfalls an Neid und schlimmstenfalls sogar an Ablehnung und Hass denen gegenüber „erkranken“, die entweder konsequenter handeln als wir oder vom Herrgott nach Seinem unergründlichen Ratschluss anscheinend mit mehr „Talenten“ des betreffenden Gleichnisses im Evangelium (vgl. Mt 25,14-30) beschenkt worden sind.
Es ist schlimm genug, wenn Menschen, die nichts Übles getan haben, nur wegen ihrer wirklich echten Frömmigkeit und ihres festen Glaubens Nachteile erleiden und somit sogar einer subtilen Verfolgung ausgesetzt werden. Umso schlimmer, wenn da sogar die eigenen Glaubensbrüder die negative Trommel des krankhaften Neides, der bösen Gerüchte und falschen Anschuldigungen rühren! Es stimmt schon das lateinische Sprichwort: „Corruptio optimi pessima“ – „Die (sittliche) Verderbtheit des Besten ist am allerschlimmsten“! Denn der geistige Schaden, den die vermeintlich Guten anrichten, ist bisweilen schlimmer, subtiler und demoralisierender als die offene Verfolgung seitens der Feinde der Kirche.
■ Somit sollten wir ein Maximum an Bemühungen aufbringen, um nicht auch selbst zur Ursache solcher „Turbulenzen“ zu werden.
So können wir es ja manchmal ebenfalls nicht ertragen, dass uns jemand eine bestimmte unbequeme Wahrheit sagt, die uns nicht gefällt und wir nicht annehmen wollen. Auch wenn uns dies von jemand gesagt wird, der entweder in Erfüllung seiner elterlichen oder pädagogischen oder priesterlichen Pflicht dazu geradezu verpflichtet ist, empören wir uns über so viel „Frechheit“, dass es jemand überhaupt wage, an uns Kritik zu üben. Zwar spüren wir, dass der Betreffende Recht hat und keinesfalls etwa seine Vollmachten überschreitet. Aber wir wollen dies aus menschlichem Stolz nicht zugeben, weil es ja nicht sein dürfe, dass man sich von jemand „demütigen“ lasse, wie wir es auffassen, zumal wir ihn dann in gewissem Umfang auch selbst als reifer und weitsichtiger anerkennen müssen.
Statt diese berechtigte Kritik und sogar notwendige Zurechtweisung seitens eines dazu vielleicht sogar ausdrücklich berufenen Menschen anzunehmen und zu beherzigen und somit zum Zweck des eigenen geistlichen Fortschritts heilsam zu nutzen, spielen wir die Beleidigten und versuchen auf diese Weise, den sprichwörtlichen Bock zum Gärtner zu machen. Im Anfall des Stolzes und Hochmuts suchen wir dann vielleicht sogar noch bewusst danach, bei dem, der uns die betreffende unbequeme Wahrheit gesagt hat, nach Fehlern zu suchen und ihn somit zu beschwärzen.
Nicht genug, wir beklagen uns dann auch noch heuchlerisch und verlogen bei anderen Menschen, die vielleicht nicht einmal das Geringste mit der ganzen Angelegenheit zu tun haben, und bemühen uns, sie als unsere Verbündete bei der von uns gestarteten Verunglimpfung unserer gerechten Kritiker zu benutzen bzw. zu instrumentalisieren. Es werden öffentliche Versammlungen einberufen und heimliche Sippentreffen abgehalten – dem, der uns in Ausübung seiner heiligen Pflicht, uns die Wahrheit über unser Tun und Lassen zu sagen, wird im übertragenen Sinn ein übler Prozess gemacht!
Und alles nur deswegen, weil es uns an hinreichender Wahrheitsliebe und echter Demut mangelt, der Wahrheit ins Auge zu schauen. Zwar geht es bei uns meistens nicht so weit, wie hier beschrieben, hoffentlich. Aber die betreffenden Versuchungen sind uns ja nicht komplett fremd, zumal wir ihnen bisweilen zu einem bestimmten Teil leider auch tatsächlich nachgeben.
In bestimmten anderen Fällen geht es uns, wie das erwähnte Beispiel des hl. Benedikt zeigt, nicht um das Hinnehmen von der an uns gerichteten berechtigten und vielleicht sogar höchst notwendigen Kritik, sondern „lediglich“ darum, dass wir schlicht und ergreifend nicht ertragen und hinnehmen können, wenn jemand etwas besser tut oder konsequenter handelt, als wir selbst das tun.
Der Betreffende sagt überhaupt nichts und schaut uns auch nicht wie auch immer vorwurfsvoll an. Er tut lediglich still und bescheiden das, was er als seine Pflicht vor Gott bzw. als das Gebot der Stunde erkennt. Aber allein weil er z.B. bei der Erfüllung der Gebote Gottes und seiner beruflichen oder familiären Pflichten konsequenter und hingebungsvoller handelt als wir, erfüllt uns allein das schon mit Neid und Missgunst ihm gegenüber. Denn keiner dürfe ja besser und frommer sein als wir uns in unserer Überheblichkeit dafür halten – allein das indirekte Anzweifeln dieses überheblichen „Grunddogmas“ „ärgert“ uns nicht unbeträchtlich.
Man weiß oder spürt wenigstens, dass der andere in konkreten Fragen wirklich größere Fortschritte im Streben nach der Heiligung des eigenen Lebens oder im Üben der Tugend gemacht hat als man selbst. Aber statt dies anzuerkennen, wird der Betreffende unduldsam als Konkurrent angesehen bzw. von der Tendenz her als ein schlechter Mensch dargestellt. Denn man sieht sich selbst ganz unfehlbar als den Größten, Klügsten und Fähigsten an. Wer das auch nur indirekt und passiv in Frage zu stellen wagt, bekommt den Unmut unseres fehlgeleiteten Gemüts zu spüren.
Wie viele Sünden laden denn nicht die sprichwörtlichen „Tratsch-Tanten“ (ob weiblich oder männlich) auf sich, die sich ihre Mäuler wund reden beim Runtermachen und Diffamieren anderer Menschen, deren „Schuld“ lediglich darin besteht, dass sie nicht so faul und so träge sind bei der Erfüllung des Willens Gottes und dem Üben der christlichen Tugenden bzw. generell deutlich weniger an Selbstsucht und Selbstüberschätzung leiden als die betreffenden „Frommen“ und „Heiligen“. Statt an den anderen, die es besser machen, ein Beispiel zu nehmen (und ihnen dafür sogar auch ausdrücklich dankbar zu sein!) und ihnen beim Tun des Richtigen nachzueifern, redet man sie in eigener Faulheit und Gehässigkeit lieber künstlich schlecht und lädt somit schwerste Sünden gegen das 8. Gebot Gottes auf sich!
Und als noch schlimmer könnte die mentale Anfeindung von Menschen eingestuft werden, denen man „bestenfalls“ nur verübeln „kann“, dass sie vom Herrgott offensichtlich mit mehr Fähigkeiten und Begabungen ausgestattet worden sind als wir selbst. Man kann es nicht ertragen und will es auch nicht zugeben, dass der eigene „Konkurrent“, mit dem man sich seltsamerweise misst und vergleicht, etwas besser kann. Statt ehrlich, demütig und bescheiden zuzugeben, dass jemand auf einem bestimmten Gebiet vielleicht sogar etwas mehr zum gemeinsamen Nutzen der Familie, Gesellschaft und Kirche beitragen kann, macht man praktisch sowohl Gott Vorwürfe wegen der angeblichen „Ungerechtigkeit“ bei unserer Ausstattung mit „Talenten“ als auch feindet die betreffenden anderen Menschen als vermeintliche „Konkurrenten“ an, obwohl sie ja schlussendlich auch nichts dafür können, dass ihnen diese oder jene Fähigkeit oder Begabung gegeben worden ist, die sie dann keinesfalls mit Überheblichkeit und Arroganz ausüben.
Welche schreckliche Erfahrung musste einmal ein junger Priester machen, als er verstand, dass eine Ordensperson ihm mit krankhaftem Neid begegnete und ihn dann auch subtil anfeindete, weil sein Bischof ein gutes und vertrauensvolles Verhältnis zu ihm unterhielt. Manchmal tun sich in uns wirklich große Abgründe auf und wir sollten viel Aufmerksamkeit und Kraft aufwenden, um solche nicht zuzulassen, indem wir nämlich immer möglichst ehrlich zu uns und den anderen sind! Wer sein Gewissen schärft und von seiner Armut vor Gott und den Menschen zutiefst überzeugt ist, widersteht besser den mannigfachen und vielfältigen Anfechtungen des bösen Geistes, des Teufels, der uns oft sogar ausdrücklich unter einem sehr „frommen“ Gewand und Anlass zu Fall bringen möchte.
Neben viel Gebet und schonungsloser Selbstkritik kann man solchen Versuchungen auch dadurch wirksam begegnen, dass man sowohl sich selbst ehrlich zugesteht, dass andere etwas besser können und größeren Fortschritt im geistlichen Leben gemacht haben, als auch solche Erkenntnisse ohne falsche Scheu auch anderen Menschen gegenüber äußert. Dies ist dann ein gutes und effektives Gegenmittel gegen die in uns bisweilen aufkommenden Versuchungen zu Neid, Stolz und Überheblichkeit! Dann erzeugt die Erkenntnis und das Eingeständnis einer bestimmten Wahrheit keinesfalls „Hass“ (in uns und anderen gegenüber), sondern dient uns umso mehr und wirksamer zum Wachstum in Demut und Bescheidenheit, welche ihrerseits unsere Gotteskindschaft fördern und bildlich gesprochen als das Tor zum Paradies angesehen werden können!
Wenn aber jemand einem anderen nie ein anerkennendes Wort sagt oder ein bescheidenes Kompliment macht wegen der einen oder anderen positiven Leistung, die dieser Mensch ebenfalls gelegentlich zum gemeinsamen Nutzen erbringt, dagegen ihn aber sofort scharf und einseitig einer Kritik unterzieht, falls dieser nur vermeintlich oder auch tatsächlich einen Fehler begeht, dann wäre das kaum Ausdruck einer richtigen Einstellung, sondern eher ein Zeichen dafür, dass da wohl leider doch nicht wenig an Neid und Missgunst im Spiel sind. Gott ist ein strenger Richter – besonders für die, die nicht gegen die betreffenden ernsten Mentalitätsdefekte vorgehen wollen, sondern sich ohne entsprechende Gegenwehr auch dem verderblichen Strom solcher Leidenschaften hingeben!
■ Der hl. Apostel Paulus lehrt: „Vergeltet niemand Böses mit Bösem. Seid auf das Gute bedacht, nicht allein vor Gott, sondern auch vor allen Menschen. Soweit es möglich ist und auf euch ankommt, lebt mit allen Menschen in Frieden.“ (Röm 12,17f.) Mit diesen Worten gießt er nur die entsprechende Grundlehre Jesu Christi getreu in Worte.
Allerdings kann es auch zu Situationen im Leben eines Jüngers Jesu kommen, in welchen er weder schweigen noch zurückhaltend untätig sein darf, auch wenn sein entsprechendes Reden und Handeln mit hoher oder sogar höchster Wahrscheinlichkeit bei bestimmten anderen Personen starken Unmut und schärfste Ablehnung hervorrufen würde! Denn unsere heilige Pflicht, die Wahrheit Jesu Christi möglichst konsequent zu leben und freimütig zu bekennen, kann und darf durch keine falschen Rücksichten auf andere Menschen und die Angst vor größeren „Turbulenzen“ abgeschwächt geschweige denn aufgehoben werden, falls diese dann zum entsprechend ablehnenden „Gegenschlag“ ausholen bzw. zur geistig-inneren oder dann auch zur körperlich-äußeren Verfolgung greifen sollten!
Natürlich ist es jedem katholischen Christen tunlichst angeraten, beim Sprechen der Wahrheit Christi und dem Verkünden der kirchlichen Lehre sowohl den richtigen (emotionalen) Ton als auch das kluge Maß (im jeweils konkreten Umfang der Verkündigung) zu wählen. Denn falsche Emotionen, unkluge Übertreibungen oder arrogante Rechthaberei unsererseits können auch ungünstige bzw. vermeidbare Reaktionen seitens unserer nichtchristlichen oder nichtkatholischen Mitmenschen provozieren und sie so vielleicht auch grundsätzlich von der beseligenden Wahrheit des Evangeliums abstoßen. Macht ja zweifelsohne auch auf diesem Gebiet „der Ton die Musik“.
Dies darf aber dennoch niemals dazu führen, dass man grundsätzliche bzw. essentielle Abstriche am Inhalt der eigenen Predigt oder an der Art und der Konsequenz der eigenen Lebensführung macht! Auch wenn es dazu führen sollte, dass jene oben genannte Redewendung „Veritas parit odium“ in unserem Fall wortwörtlich eintreffen sollte und wir somit mit scharfer Ablehnung, böswilligen Gehässigkeiten oder sogar offenem Hass seitens mancher der anderen Menschen konfrontiert werden sollten, darf uns das nicht vom freimütigen wie klugen Verkünden der entsprechenden Lehre Jesu Christi und der katholischen Kirche bzw. von der notwendigen Konsequenz der eigenen christlichen Lebensführung abbringen! Hat ja Jesus Seinen Jüngern und Aposteln unmissverständlich vorausgesagt, welcher steinige Weg sie gegebenenfalls ebenfalls erwarten würde oder könnte. Und Er tröstet: „Selig seid ihr, wenn euch die Menschen um meinetwillen schmähen und verfolgen und euch lügnerisch alles Böse nachreden! Freuet euch und frohlockt: denn groß ist euer Lohn im Himmel. Ebenso haben sie ja die Propheten, die vor euch waren, verfolgt.“ (Mt 5,11f.)
Ein glaubenstreuer Bischof hat vor einigen Jahrzehnten im Hinblick auf die erste Phase der „Reformen“ in der „Konzilskirche“ einmal gesagt, dass ihm Luther in gewisser Hinsicht viel lieber sei als die Modernisten in den 1950-er, 1960-er und 1970-er Jahre. Denn wo Luther klar „Nein“ gesagt und somit auch die Kirche und viele der Glaubensdogmen und Sakramente als solche abgelehnt hatte, fingen die betreffenden Modernisten damit an, sophistisch herum zu schwafeln, wobei sie nicht sachlich differenzierten, sondern mit vielen ablenkenden Worten und Formulierungen lediglich die katastrophale Tragweite ihrer modernistischen Ideen verbergen wollten. Die Gläubigen sollten dadurch auch irgendwie hinter Licht geführt werden, damit sie schneller und „unproblematischer“ die modernistischen „Neuerungen“ in Glaube, Liturgie und Moral annähmen.
So wüsste man bei Luther besser, womit man es da zu tun hat, was er eigentlich wollte bzw. woran man bei ihm wäre. Die rhetorisch geschulten Modernisten dagegen brächen zwar ebenfalls grundsätzlich mit der Tradition der Kirche und gäben somit u.a. auch die Übernatürlichkeit des christlich-katholischen Glaubens und das göttliche Element der von Jesus Christus als Heilsinstitution gestifteten Einen, Heiligen, Katholischen und Apostolischen Kirche auf. Aber sie weigerten sich (besonders in jener Zeitperiode) oft, offen von einem grundsätzlichen Bruch mit dem überlieferten katholischen Glauben zu reden, sondern ließen mit viel Pathos und verbalem Beiwerk den Gläubigen absichtlich in Unkenntnis über ihre eigentlichen Absichten.
So verlangen sie ja auch heute noch, um hier nur ein Beispiel dafür zu nennen, von ihren Gläubigen ausdrücklich Gehorsam den modernistisch gesinnten „Bischöfen“ und „Päpsten“ gegenüber, um den eigenen massiven Ungehorsam der Lebendigen Tradition der Kirche und somit den Lehren Jesu Christi und allen eigenen kirchlichen Vorgängern gegenüber zu kaschieren und so die Menschen leichter in die Irre zu führen!
Jetzt, 40-50 Jahre später, ist ja der Prozess der modernistischen „Um-Kodierung“ der Köpfe und Herzen vieler der offiziellen Katholiken leider schon so weit fortgeschritten, dass sich nicht wenige der Modernisten nicht mehr scheuen, sowohl offen und ungeschminkt den weitestgehenden Bruch ihrer vom Geist der Häresie und Apostasie durchdrungenen „Neuerungen“ mit der alten Kirche zuzugeben, als auch zu bekennen, dass gerade das ursprünglich auch ausdrücklich intendiert und bezweckt worden ist.
In Bezug auf diese heutige Lage der Dinge erzählte mir ein befreundeter Priester kürzlich davon, dass ihm jetzt die heutigen Modernisten irgendwie lieber seien als manche der sogenannten „konservativen“ Priester und Bischöfe, die zwar sehr deutlich den Prozess der inzwischen bereits weit vorangeschrittenen Entheiligung der Kirche und Entchristlichung des Glaubens sehen und dies auch bitterlich beklagen, aber dann doch nicht konsequent genug denken und weit genug gehen wollen, um dieser Tragödie möglichst entgegenzuwirken.
Denn die betreffenden Modernisten geben ja heute immer häufiger offen zu, was sie eigentlich wollen und dass sie den Glauben – im Sinn und in der Definition der „vorkonziliaren Kirche“ – aufgegeben haben. Da kann dann jeder, der noch wenigstens bestimmte Reste des katholischen Denkens und Glaubens bewahrt hat bzw. bewahren konnte, selbst sehen und erkennen, um was es da wirklich geht und was da eigentlich auf dem Spiel steht – dass der Modernismus nämlich zur Vernichtung eines jeglichen gesunden katholischen Glaubens und christlichen Denkens führt!
Wenn aber jene „Konservativen“ vielleicht sogar deutlich die Verderblichkeit der modernistischen „Reformen“ im Hinblick auf den Glauben, die Liturgie und Moral geißeln, selbst dann aber dennoch innerhalb derselben „kirchlichen“ Organisation bleiben und denselben „unkatholischen“ Autoritäten unterstehen, widersprechen sie sich nicht nur selbst im erschreckenden Umfang, sondern fördern durch die eigene inkonsequente Haltung wenigstens indirekt auch noch den betreffenden geistig-religiösen Niedergang innerhalb der „Konzilskirche“! Denn was nutzt es zu sagen, das sei falsch und protestantisch und jene „Neuerung“ sei eindeutig „unkatholisch“, wenn man zur gleichen Zeit die „Konzilskirche“ wenigstens durch das eigene fortdauernde Verweilen in ihr praktisch als die wahre Kirche Jesu Christi bezeichnet und dies so auch aktiv bekennt?
Im Hinblick auf diesen theologisch-kirchlichen Sachverhalt ist die Wahrheit Christi völlig intolerant und duldet an sich nicht die geringsten Kompromisse (mit Unwahrheit und Irrlehre) – auch nicht um der Ruhe und Bequemlichkeit der betreffenden Gläubigen willen! In Bezug auf diesen Kontext formuliert Jesus sogar drastische Worte: „Ich bin gekommen, Feuer auf die Erde zu werfen, und wie wünschte Ich, es loderte endlich einmal empor! … Glaubt ihr, Ich sei gekommen, Frieden auf die Erde zu bringen? Nein, sage Ich euch, sondern vielmehr Zwiespalt.“ (Lk 12,49.51.)
Der primäre Wille Christi ist nicht, dass wir immer nur verfolgt würden, sondern dass wir Seinen Willen ohne falsche Rücksichten leben und bekennen. Dies aber kann mit sich bringen, dass man um dieser Wahrheit Christi willen andere Menschen anstößt und dann die von ihnen womöglich ausgehenden Nachteile, vom schiefen Anschauen bis zur offenen Verfolgung, in Kauf nehmen sollte. Denn leider ist die Wahrheit Christi nicht gar so wenigen Menschen ein Dorn im Auge, weshalb sie dann in sich bedauernswerterweise sogar einen ausgeprägten Hass auf sie entstehen lassen: „Veritas odium parit“ – „Die Wahrheit gebiert Hass“!

P. Eugen Rissling

 

 

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